Widerrufsjoker beim Dieselskandal: Musterklagen zielen auf Autokredite
Autobauer müssen sich darauf einstellen, künftig öfter mit Musterklagen konfrontiert zu werden. Anlass dazu bietet vor allem die Dieselaffäre. Betroffene Kunden haben inzwischen gleich mehrere Optionen, auf gerichtlichem Weg um Schadenersatz zu kämpfen. Dabei steht nicht nur der Vorwurf der Manipulation im Raum. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hat einen völlig anderen Ansatz. Sie wirft den Volkswagen Financial Services und der Mercedes-Benz-Bank in Musterklagen Fehler in den Vertragspapieren vor. Oder anders ausgedrückt: Der Verband zieht den Widerrufsjoker.
- Erweisen sich die Widerrufserklärungen als fehlerhaft, können Autokredite rückabgewickelt und darf das Dieselfahrzeug zurückgegeben werden.
- Der Widerrufsjoker gilt als der einfachere Weg.
- Die Autobanken geben sich derzeit noch unbeeindruckt von der Musterfeststellungsklage.
- Immer mehr Verbraucher entscheiden sich beim Autokauf für eine Finanzierung und/ oder ein Rundum-Sorglos-Paket.
Fehler in der Widerrufserklärung des Autokredits
Die Idee, einen Vertrag anzufechten, indem die Widerrufserklärung für fehlerhaft erklärt wird, ist nicht neu. Wird der Kunde nicht ausreichend und rechtlich einwandfrei über sein Widerrufsrecht informiert, kann der Vertrag auch noch nach Jahren widerrufen werden. In diesem Zusammenhang wird gern vom Widerrufsjoker gesprochen.
Dieser Begriff tauchte mit Einsetzen der Niedrigzinsphase vermehrt auf. Für Kunden, die eine vergleichsweise teure Finanzierung abgeschlossen hatten, bot sich über die Rückabwicklung des Vertrags ein Schlupfloch und die Möglichkeit, einen günstigeren Kredit in Anspruch zu nehmen. Diese Taktik wendet jetzt auch die Schutzgemeinschaft für Bankkunden an. Nur, dass nicht der Kredit an sich im Fokus steht. Es geht eher darum, den Kunden einen eleganten Weg zu ebnen, sich ohne Verluste ihres unliebsamen Diesels zu entledigen.
Den Widerrufsjoker spielt auch die Verbraucherzentrale Hamburg. Hier wundert man sich, dass noch nicht mehr Autofahrer diese Variante gewählt haben. „Viele wissen vermutlich nicht einmal, dass sie diese Möglichkeit haben“, so Verbraucherschützerin Gabriele Schmitz gegenüber der „Welt“. Sie empfiehlt Betroffenen, sich rechtliche Beratung zu holen – etwa bei den Verbraucherzentralen.
Vorteile des Autokredit-Widerrufs
Sich auf Formfehler in den Kreditverträgen zu berufen, hat aus Expertensicht gleich zwei Vorteile gegenüber den anderen Verfahren in der Dieselaffäre: Es spart Zeit und Geld. Schätzungen zufolge ist es möglich, binnen weniger Monate einen Vergleich mit der jeweiligen Autobank zu erzielen. Die Bereitschaft dazu ist aufseiten der Konzerne durchaus vorhanden. Der Kostenfaktor kann positiv beeinflusst werden, indem eigens für den Kreditwiderruf eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen wird – was bei einigen Gesellschaften durchaus möglich ist. Dadurch entfällt das Risiko, auf den mitunter hohen Verfahrenskosten sitzenzubleiben.
Autobanken bleiben (noch) gelassen
Die Autobanken, gegen die sich die Musterfeststellungsklagen richten, die Volkswagen Bank bzw. die Volkswagen Financial Services und die Mercedes-Benz Bank, haben sich noch nicht geäußert. Wohl aber der Verband Banken der Automobilwirtschaft (BDA). „Natürlich existiert das Problem“, so Geschäftsführer Peter Renkel. Wahnsinnige Rückstellungen müssten jedoch nicht gebildet werden. „Wir sind weit von einer Weltuntergangsstimmung entfernt“, erklärt der Verband. Das gelte auch für den sogenannten Widerrufsjoker, zumal es sich noch nicht um eine Klagewelle handle.
Nichtsdestotrotz wird von den Autobanken Vorsorge betrieben – allerdings eher im Hinblick auf die sinkenden Restwerte von Dieselfahrzeugen. Allein bei den Volkswagen Financial Services wurden dafür zuletzt 50 Millionen Euro zurückgestellt. Und das, obwohl vor allem die Händler das Restwertrisiko tragen.
Boom der Autobanken
Sorgen um die Zukunft macht man sich also nicht. Warum auch? Die Geschäftszahlen sind solide. Im Bankensektor zählen die Autobanken schon länger zu den erfolgreichsten Unternehmen am Markt. Eines dieser Unternehmen ist ganz klar die Finanzsparte von Volkswagen mit einem Vorsteuerergebnis von fast 2,5 Milliarden Euro. Und auch Daimler kann sich mit einem Wert von annähernd 2,0 Milliarden Euro sehen lassen. Von den Schwierigkeiten, die im Rahmen der Dieselaffäre auftraten, ist kaum etwas zu spüren – vorerst zumindest.
Insbesondere bei den Fahrzeugfinanzierungen geht es inzwischen kontinuierlich bergauf. Die Volkswagen Financial Services nennen folgenden Zahlen:
Vertragsbestand weltweit (in tausend Stück) | Per 30. September 2018 | Per 30. September 2017 | Veränderung in % |
---|---|---|---|
Finanzierung | 6.308 | 5.920 | 6,6 |
Leasing | 4.312 | 3.813 | 13,1 |
Dienstleistungen | 4.347 | 3.891 | 11,7 |
Versicherungen | 5.477 | 5.448 | 0,5 |
Gesamt | 20.443 | 19.072 | 7,2 |
Vertragszugang weltweit (in tausend Stück) | Januar bis September 2018 | Januar bis September 2017 | Veränderung in % |
Finanzierung | 1.899 | 1.756 | 8,1 |
Leasing | 1.393 | 1.294 | 7,7 |
Dienstleistungen | 1.236 | 1.205 | 2,6 |
Versicherungen | 1.692 | 1.573 | 7,6 |
Gesamt | 6.220 | 5.828 | 6,7 |
Auch bei Daimler bzw. der Mercedes-Benz Bank belegt der Vertragsbestand im Bereich Leasing und Finanzierung einen klaren Aufwärtstrend:
Jahr | Bestand in Millionen Euro |
---|---|
2008 | 17.243 |
2009 | 16.137 |
2010 | 16.095 |
2011 | 17.000 |
2012 | 17.761 |
2013 | 18.245 |
2014 | 18.724 |
2015 | 19.814 |
2016 | 21.818 |
2017 | 24.122 |
Gewinn machen die Unternehmen – wie vor allem die Daten von Volkswagen zeigen – nicht nur mit Autokrediten, sondern vermehrt mit zusätzlichen Leistungen. Ihr Vorteil: Sie können neben dem Fahrzeug und der passenden Finanzierung (Kredit oder Leasing) auch gleich eine Versicherung und Servicepakete verkaufen. Diese Komplettpakete sind beliebt, weil Verbraucher alles aus einer Hand erhalten. Ob es unter dem Strich günstiger ist, steht auf einem anderen Blatt. Diese Frage lässt sich nur über einen Autokreditvergleich und einen Blick auf die Versicherungskonditionen klären.
Autokredite immer gefragter
Der Trend am Automarkt geht jedenfalls immer mehr Richtung Finanzierung – auch und gerade im privaten Sektor. Unterschiedliche Studien kommen dabei zwar zu unterschiedlichen Quoten. Doch eines ist den Daten gemeinsamen: Fahrzeugfinanzierungen nehmen zu – und das schon seit einigen Jahren.
Laut einer von der GfK Finanzmarktforschung im Auftrag des Bankenfachverbandes erstellten Studie wurden im Jahr 2017 38 Prozent aller Pkw per Autokredit, Leasing oder Drei-Wege-Finanzierung gekauft. Bei Neuwagen betrug der Anteil 46 Prozent und bei Gebrauchtwagen 34 Prozent. Etwas höher liegen die Werte einer Statista-eigenen Umfrage. Demnach wurden im vergangenen Jahr 64 Prozent der Neuwagen ganz oder teilweise finanziert und 44 Prozent der Gebrauchtwagen. Der DAT Report wiederum beziffert den Anteil der Autokredite bei Gebrauchtwagen auf 34 Prozent (2016). Bei Neuwagen wurden 2016 61 Prozent ganz oder teilweise finanziert und 18 Prozent per Leasing erworben. Die Banken der Automobilwirtschaft legen die Messlatte noch höher: „Heute werden rund 75 Prozent aller Pkw-Neuzulassungen in Deutschland über Leasing- und Finanzierungsmodelle auf die Straße gebracht.“
Der Blick nach vorn
Die Dieselaffäre hat sich, glaubt man den Zahlen, nicht wirklich auf die Autobanken ausgewirkt. Abgesehen von einigen Schwierigkeiten am Anleihemarkt hat das Geschäft nicht gelitten. Daran wird sich auch Zukunft kaum etwas ändern. Die Musterfeststellungsklagen sind zwar unangenehm. Da man Zeit hatte, sich darauf vorzubereiten, dürften die neuen Verträge wasserdicht sein – und zwar branchenübergreifend. Und wie viele Autofahrer, die seit Juni 2014 eine Finanzierung über eine der Autobanken vereinbart haben, klagen werden, steht auch noch nicht fest. Auf die Konditionen für die Autokredite werden sich die Verfahren ebenfalls nicht auswirken. Dazu ist der Konkurrenzkampf zu groß.
Die Musterfeststellungsklagen beweisen allerdings, dass nicht nur die Autohersteller äußerst kreativ sind. Auch Verbraucherschützer wissen sehr genau, wo sie die Schrauben anziehen können. Selbst, wenn es, wie im Fall der Autokredite, von hinten durch den Rücken ins Auge geht. Denn letztlich hat der Kreditvertrag nichts mit dem Dieselproblem zu tun.
Quellen und weiterführende Links
- Wallstreet Online – Alternative zur VW Diesel Musterfeststellungsklage: Kfz-Kredit widerrufen!
- Handelsblatt: Autobanken zeigen sich unbeeindruckt vom Dieselskandal
- Finanz-Szene.de: 10 Erklärungen, wie Volkswagen zur gewinnträchtigsten deutschen Bank wurde
- Welt: Bankkunden-Schutzgemeinschaft reicht Musterklagen gegen VW und Daimler ein
- Mercedes-Benz Bank: Die Mercedes-Benz Bank im Porträt
- Volkswagen Financial Services: Pressemitteilung vom 5. November 2018
- Bankenfachverband e.V.: Marktstudie 2017 – Konsum- und Kfz-Finanzierung
- Statista: Finanzierung von privaten Neu- und Gebrauchtwagen in Deutschland im Jahr 2017
- DAT Group – DAT Report 2017
- BDA: Über die Banken der Automobilwirtschaft (BDA)