Bricht „Allianz-Recht“ das EU-Recht?
Statt einen Kredit aufzunehmen, greifen viele zur Lebensversicherung. Sie kann beliehen, verkauft oder auch storniert werden. Relativ neu ist die Lebensversicherung zu widerrufen. Das geht recht einfach und wird durch ein BGH Urteil gestützt.
Der größte Versicherer der Welt, die Münchener Allianz, hat zwar keine eigenen Gesetze, er ist aber groß genug, um sich mit der EU anzulegen. Hintergrund ist die Auslegung der Rechtsprechung zum Thema Widerrufsbelehrung bei Lebensversicherungen. Betroffen sind Verträge aus den Jahren 1994 bis 2007.
Grund für den Rechtsstreit ist die Vorgehensweise bezüglich der Widerrufsbelehrung zu Lebensversicherungen aus diesen Jahren. In dem angegebenen Zeitraum wurden Lebensversicherungen nach dem sogenannten Policenmodell abgewickelt. Die Vorgehensweise war, dass der Versicherungsnehmer erst mit der Police die Widerrufsbelehrung erhielt, nicht bereits bei Vertragsabschluss. Diese Vorgehensweise war mit dem europäischen Recht nicht vereinbar.
Nach deutschem Recht war das Rücktrittsrecht vom Vertrag nach einem Jahr erloschen, unabhängig davon, ob eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erfolgte oder nicht. Diese Praxis steht nach Aussage des BGH jedoch im Widerspruch zu Artikel 15 Abs. 1 der Zweiten und Artikel 31 der dritten EU-Richtlinie zur Lebensversicherung. Diese Richtlinien besagen, dass das Rücktrittsrecht erst dann nach einem Jahr hinfällig ist, wenn eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erfolgte. Der Europäische Gerichtshof hatte im Jahr 2014 diese Richtlinien nach einem jahrelangen Rechtsstreit bestätigt (Az. C-209-12).
Wo liegt das Problem für die Allianz?
Es stellt sich natürlich die Frage, weshalb die Allianz hier einen Rechtstreit sucht und das Bundesverfassungsgericht anruft. Der BGH hatte bereits festgestellt, dass EU-Recht über bundesrepublikanischem Recht steht. Es geht für die deutsche Versicherungswirtschaft um viel Geld und für die Allianz natürlich um den größten Brocken.
Im Zeitraum zwischen 1994 und 2007 wurden in Deutschland 108 (!) Millionen Lebensversicherungen nach dem Policenmodell abgeschlossen. Die Prämienzahlung für diese Verträge summiert sich auf über 400 Milliarden Euro. Betroffen wäre die gesamte Branche, könnten die Versicherungsnehmer ihre Verträge aufgrund der mangelhaften Widerrufsbelehrung vorzeitig auflösen.
Für die Allianz stehen neun Millionen Verträge mit einem Beitragsvolumen von rund 62 Milliarden Euro auf dem Spiel. Grund genug, sich mit der EU anzulegen.
Zahlreiche Versicherungsnehmer haben sich, berufend auf das Karlsruher Urteil, bereits an ihre Versicherer gewandt und um rückwirkende Abwicklung der Verträge gebeten. Unternehmen wie die Generali haben ihre Kunden darauf hingewiesen, dass es sich um ein schwebendes Verfahren handle und sie daher keinen Anlass sehen, zu reagieren.
Der BGH hatte bereits zu alldem geurteilt (Az. 1 BvR 1674/14), allerdings offensichtlich nicht im Sinne der Allianz. Diese hatte bereits im Jahr 2014 gegen das Urteil eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Das Bundesverfassungsgericht soll jetzt im Jahr 2016 klären, ob die Rechtslage in der EU mit der deutschen Verfassung korreliert, oder ob ein „Lex Allianz“ die Branche vor böswilligen Versicherungsnehmer schützen kann.