Das Ende des Widerrufsjokers – Teil 2
Bereits letzte Woche berichteten wir über das mögliche Aus des Widerrufsjokers. Uns ließ das Thema nicht los und so bohrten wir weiter. Was herauskam, waren weitere Hintergründe und endlich auch ein Name, der mit der aktuellen Entwicklung sehr eng verknüpft zu sein scheint.
Der Widerrufsjoker ermöglicht den Kreditnehmern bei einer fehlerhaften oder ungenügenden Widerrufsbelehrung den Kredit auch dann zu widerrufen, wenn schon Jahre ins Land gestrichen sind. Das galt sogar für bereits getilgte Kredite. Grundlage dafür ist ein BGH Urteil.
Prinzipiell ist das eine feine Sache für die Verbraucher. Bedenkt man, welche Summen bei einem Immobilienkredit bewegt werden, machen sich die Effekte sehr schnell bemerkbar. Betroffene Kunden können mit diesem Widerrufsjoker Kredite aus Zeiten wesentlich höherer Kreditzinsen widerrufen und durch einen neuen Kredit quasi ersetzen, man nennt das rückabwickeln.
Der neue Kredit wird mit den aktuellen Kreditzinsen ausgestellt. Die Zinsdifferenz plus anfallende Verzugszinsen sind bares Geld, das Kreditnehmer auf diese Weise von ihrer Bank einfordern können. Aufgrund der hohen Kreditsummen sind das durchaus fünfstellige Beträge.
Was sagen die Experten in dem Bereich?
Wir haben uns mit Herrn Dr. Jochen Strohmeyer, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der mzs Rechtsanwälte GbR in Düsseldorf unterhalten. Er sprach an, worauf wir noch gar nicht gekommen waren:
„Die Banken hätten problemlos nachbelehren können. Paragraph 355 (2) BGB bot die Grundlage dazu. Als 2008/2009 die Sache heiß wurde, hätten die Banken ihre Kreditnehmer darüber informieren können, wie ihr Widerrufsrecht genau aussieht.“
Das bedeutet: Wäre die Widerrufsbelehrung bei Vertragsabschluss nicht in Ordnung gewesen, hätten die Banken mit einer solchen Information nachgebessert. Allerdings hätte die dann geltende Widerrufsfrist einen vollen Monat betragen, statt der sonst vorgeschriebenen zwei Wochen.
Dennoch: Jeder Vertrag, der nachträglich so korrigiert worden wäre, wäre heute nicht mehr anzugreifen.
Zocker denken: Wecke keine schlafenden Hunde
Solche Schreiben gingen wohl nicht an die Kreditnehmer. Ein merkwürdiger Schachzug, der vielleicht nicht zu Ende überlegt war. Am Ende entsteht unter Umständen und nicht zu Unrecht ein Bumerang, der sehr teuer werden kann.
Die Überlegung scheint schlicht die gewesen zu sein: Wenn die Bank ihren Kunden mitteilt, dass sie ihre alten Verträge widerrufen können, würden schlafende Hunde geweckt werden, die das Angebot annehmen.
Das machte aber in so gut wie allen Fällen keinen Sinn, wie Herr Dr. Strohmeyer weiter ausführt. Zu dieser Zeit war das Kreditzinsniveau so hoch, dass abzüglich aller Kosten keine Ersparungen für den Kreditnehmer zu erzielen waren.
Die einzigen Kreditnehmer, die das wirklich hätten sinnvoll ausnutzen können, wären die gewesen, die ihren Kredit ablösen wollten und denen eine Vorfälligkeitsentschädigung ins Haus stand. Hätten sie widerrufen, hätten sie sich die Kosten für das verfrühte Ablösen des Kredits gespart.
Das dürfte nun wirklich die kleinste Zahl der Kreditnehmer gewesen sein. Also haben die Banken entweder nicht so weit gedacht (was sehr unwahrscheinlich ist), oder sie scheuten die potentiellen Kosten aus den paar wenigen Kreditverträgen. Unter dem Strich also die damals anfallenden Vorfälligkeitsentschädigungen.
Daher beließ man es bei den Widerrufbelehrungen, wie sie festgeschrieben waren, kreuzte die Finger hinter dem Rücken und hoffte auf das Beste. Die Rechnung ging nicht auf, der BGH hatte es entschieden.
Aktueller Stand der Dinge:
Die Bundesregierung hat die Aufgabe, eine EU-weite Richtlinie umzusetzen. In dieser Richtlinie geht es um Kredite für Wohnimmobilien. Allerdings ging es originär nicht um Widerrufsrechte für die Verbraucher.
Da das BGH Urteil nicht zu ändern ist, wird nun versucht über den Gesetzesweg einen Lösung für die Misere der Banken zu finden. Und das scheint recht erfolgreich zu funktionieren.
Frau Dr. Merkel macht Druck
In ihrem Schreiben an den Präsidenten des Bundestages bittet Frau Dr. Angela Merkel:
„hiermit übersende ich den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie mit Begründung und Vorblatt (Anlage 1). Ich bitte, die Beschlussfassung des Deutschen Bundestages herbeizuführen. […] Der Gesetzentwurf ist dem Bundesrat am 14. August 2015 als besonders eilbedürftig zugeleitet worden.“
Es scheint sehr schnell gehen zu müssen. Weitgehend unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung wird hier ein Weg eingeschlagen, der ein Paradebeispiel für erfolgreiche Lobby-Arbeit zu sein scheint.
Die Richter des BGH sind dem Gesetz verpflichtet. Ihre Aufgabe ist es, die bestehenden Regelungen zu interpretieren. Wenn nun Urteile gefällt werden, die einer Interessensgruppe nicht gut gefallen, dann packt man sinnvoller Weise das Übel bei den Wurzeln und ändert den Grund für das ungeliebte Urteil: Das entsprechende Gesetz.
In diesem Fall funktioniert das ganz hervorragend indem man den entsprechenden Vorschlag an eine andere Gesetzesinitiative anheftet. Dazu hält man sich für den Anfang noch zurück und wartet ab bis der richtige Moment gekommen ist. Motto: Bälle flach halten.
Die Umsetzung der EU Richtlinien für Wohnimmobilien ist genau dieser Moment. Man heftet die gewünschten Vorschläge an eben diese EU Richtlinie an. Da die EU Richtlinie als solches zwingend umgesetzt werden muss, müssten am Ende die stimmberechtigten Abgeordneten schon sehr sehr genau hinschauen, um in dem ca. 160-seitigen Werk, die eine Seite über das Widerrufsrecht zu finden und als eventuell fragwürdig einzustufen.
Wie begründet man die Änderung der bestehenden Regelungen?
Selbstredend kann ein Gesetzentwurf nicht ohne Fundament eingereicht werden. Im Folgenden sind die Argumente der Pro-Partei aufgelistet, wie sie auch im Gesetzentwurf zu lesen sind:
- Befürchtung eines ewigen Widerrufsrecht
- Daraus resultierend: kürzere Kreditvertragslaufzeiten, was entgegen dem Verbraucherinteresse stünde
- Knüpfung des Widerrufsrechts ausschließlich an die vertraglichen Widerrufsinformationen und nicht auch an weitere vertragliche Pflichtinformationen.
- Zulässigkeit nach EU Recht sei gegeben, da das bei Wohnimmobilien anders sei als bei Verbraucherkrediten
- 494 BGB würde unzureichende Pflichtinformationen ausreichend sanktionieren
- Beseitigung einer großen Rechtsunsicherheit
- Berechtigte Verbraucherinteressen würden nicht beeinträchtigt
- Masse der Verbraucher hat Kenntnis vom Widerrufsrecht
Wo kommt der Vorschlag eigentlich her?
Es ist nicht zu recherchieren, wer die Idee hatte, den sogenannten Widerrufsjoker zu attackieren. Besonders gestaunt hatten wir aber, als uns ein Bericht zugespielt wurde. Die Zeitschrift VuR Verbraucher und Recht druckte in ihrer Ausgabe 9/2015 einen Artikel von Prof. Dr. Kai-Oliver Knops aus Hamburg.
Er berichtet, dass der Staatssekretär Gerd Billen aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) auf einer Tagung mit über 100 Juristen der Sparkassengruppe den Vorschlag machte, per Gesetz das Widerrufsrecht aller Altverträge zu einem baldigen Zeitpunkt zu kappen. Dazu benötige er allerdings die 100%ige Unterstützung der Kreditwirtschaft.
Letzteres sollte nicht schwer zu bekommen sein. Dazu die Stellung als Staatssekretär im richtigen Ministerium. In Summe ergibt das eine Schwungmasse, die wohl ausreichen dürfte, Gesetzesänderungen herbeizuführen.
Aber es kommt ja noch besser: Es war ja erst mal nur ein Vorschlag, der in die Diskussion passt. Was Sie aber vielleicht nicht wussten, ist, dass Herr Billen laut seines öffentlichen Lebenslaufs (oben verlinkt) bis 2013 noch Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands war. Also der oberste aller Verbraucherschützer, möchte man sagen.
Für diese Personalie ist ein solcher Vorschlag durchaus spannend. Ob er in seiner Zeit beim Verbraucherschutz die Idee so gut geheißen hätte? Man kann durchaus Zweifel hegen und sich seinen Teil dabei denken.
[UPDATE vom 26.10.2015] Wir hatten uns natürlich um eine Stellungnahme seitens des Staatssekretärs bemüht. Leider wurde uns heute schriftlich mitgeteilt, dass Herr Billen auf Grund der aktuellen Situation so stark eingebunden ist, dass er uns telefonisch nicht zur Verfügung stehen kann. [ENDE UPDATE]
Was wird am Ende wohl dabei herauskommen?
Auf Seite 78, am Anfang des vierten Absatzes ist es gleich zu lesen: Das Widerrufsrecht soll grundsätzlich 1 Jahr und 2 Wochen nach Vertragsschluss erlöschen.
Leider können wir der Vorlage nicht entnehmen, ob und in wie weit Altverträge davon betroffen sein sollen. Bedenkt man allerdings die Motivationslage hinter dem Begehren, kann man erahnen, dass auch für Altvertrage der finale Widerrufs-Schluss gelten wird.
Zurück zum Dilemma beim Widerrufsjoker
Ja, es geht um eine Formalie, die den Grund dafür liefert, bestehende und auch bereits beendete Kreditverträge anzugreifen. Und für diese Taktik gibt es aktuell kein Verfallsdatum, was dann den Begriff des „ewigen Widerrufsrecht“ begründet.
Gleichzeitig ist es allerdings so, dass von den Banken ab 2002 nun nicht wirklich viel abverlangt wurde. Am Ende hatten Sie die Chance die vom Gesetzgeber vorgelegten Muster in ihre Verträge zu übernehmen. Kopieren – Einfügen – Fertig. Keine große Sache.
Stattdessen wurden beschäftigten sich Juristen mit den Formulierungen und verklausulierten teilweise bis ins kryptische. Das hat nichts mehr mit fairem und kundenorientierten Geschäft zu tun. Daher fällt es auch schwer, echtes Mitleid zu empfinden.
Dazu kommt noch das Wissen um die Möglichkeit, nachträglich die Kunden zu informieren und Rechtssicherheit zu schaffen. Das wurde konsequent unterlassen, quer durch die Kredithäuser.
Argumente gegen das Ende des Widerrufjokers
- Die Banken haben einen Fehler gemacht. Sie unterließen es, nachzubessern. Warum sollte Kunden das Recht genommen werden, ab dem Punkt, wo sie den Fehler bemerken, Widerspruch einzulegen?
- Die Vertragslaufzeiten von Immobilienkrediten müssen sich entgegen der Behauptung im Gesetzentwurf mitnichten verlängern. Die aktuelle Regelung bezieht sich auch auf bereits beendete Kreditverträge. Was sollten also kürzere Laufzeiten bringen? Darüber hinaus ist es ein originäres Interesse der Banken, solide Planen zu können, wofür sich langlaufende Verträge bestens eignen.
- Die reine Zulässigkeit nach EU-Recht aufgrund der anders gelagerten Situation bei Verbraucherkreditverträgen kann kein Argument sein. Wichtiger ist die Frage, ob die angestrebte Regelung zugelassen werden sollte, nicht ob man es zulassen kann. Vielleicht sind die EU-Regelungen bei Verbraucherkrediten die besseren für die Verbraucher? Vielleicht sollten diese Regelungen auch auf Wohnimmobilienkredite umgelegt werden? Schließlich handelt es sich hier zumeist auch um Verbraucherdarlehen, die nur höhere Summen aufweisen.
- Die Rechtsunsicherheit konnte und kann nach wie vor von den Banken selbst beseitigt werden, indem sie ihren Kunden reinen und klaren Wein über deren Widerrufsrecht einschenken und das pro-aktiv kommunizieren.
- Verbraucherinteressen werden sehr wohl beeinträchtigt, wenn ihnen die Möglichkeit zum berechtigten Widerruf genommen wird.
- Wirklich Kenntnis vom Widerrufsrecht hatten die Verbraucher offensichtlich nicht. Das ist der springende Punkt für das BGH Urteil.
Fazit:
- Im Ergebnis gibt es reichlich Argumente, die den Gesetzesvorschlag in diesem Punkt erfolgreich torpedieren.
- Das Verhalten der Banken bis zum heutigen Tage, ist in diesem Punkt nicht als verbraucherorientiert zu bezeichnen.
- Die Banken treiben eine Prozesswelle vor sich her, die darauf abzielt, dass den Verbrauchern die finanzielle und mentale Luft ausgeht
Wir können daher nur hoffen, dass im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, die Argumente der Verbraucher noch gehört werden und es eine offene Diskussion über das Recht zum Widerruf gibt.
Am Ende darf man nicht vergessen, wie alles begann: mit unzureichenden Vertragsklauseln, wie der BGH entschied.