Draghis riskantes Spiel
„All in“ – mit diesem Begriff aus dem Poker kommentierte die DZ Bank die Entscheidung der EZB, den Leitzins auf null zu senken und den Strafzins für die Banken zu erhöhen. Alle Karten auf den Tisch – für Mario Draghi bleibt jetzt nicht mehr viel, was er an Maßnahmen noch angehen könnte.
Die Stimmen mehren sich, dass er sich mit seiner Politik, die Märkte mit Geld fluten zu wollen, klassisch verzockt hat.
Der bayerische Sparkassenverband hat offensichtlich eine ideelle Anleihe bei Onkel Dagobert aufgenommen: Er empfiehlt seinen Mitgliedsinstituten, keine Gelder mehr bei der EZB zu parken, sondern in den heimischen Tresoren zu lagern, da dies billiger sei.
Auf diese Weise schützen die Banken ihr Geld vor zwei Risiken: Dem Risiko, Strafzinsen zu zahlen und dem Kreditausfallrisiko, wenn sie die Gelder im Sinne Mario Draghis als Darlehen ausreichen. Dieses Vorgehen konterkariert alle Bemühungen des obersten Bankers vom Main.
Bislang sind alle Bemühungen, die Konjunktur, und vor allem die Inflation in der Eurozone zu stimulieren, vergeblich. Von einer Preissteigerungsrate um die gewünschten zwei Prozent ist Europa weit entfernt, in Deutschland lag die Inflationsrate zuletzt bei null.
Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob Draghis Politik der exzessiven Flutung der Märkte letztendlich überhaupt zielführend sein kann. Vor dem Hintergrund, dass es außer der Europäischen Zentralbank und den Verbrauchern noch weitere Beteiligte gibt, sollte diese Frage auch einmal aus dem Blickwinkel von Unternehmen und Banken betrachtet werden.
Einen ersten Hinweis darauf, dass zumindest die deutsche Wirtschaft von den Bemühungen der EZB relativ unbeeindruckt bleibt, gibt die Entwicklung im Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland:
Die Situation aus Sicht der Banken
Banken vergeben Kredite unter der Prämisse, dass diese nicht zurückgezahlt werden können. Diese Befürchtung ist nicht ganz unbegründet, schaut man auf die Entwicklung der „faulen“ Kredite in Spanien und Italien.
In Italien belief sich die Quote im Jahr 2009 noch auf drei Prozent, erreichte in 2015 einen Wert von 18 Prozent. Spaniens Banken haben ein Kreditausfallrisiko von zehn Prozent in den Büchern stehen.
China als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt darf auch nicht aus den Augen gelassen werden. Dort gelten rund 35 Prozent aller Darlehen als ausfallgefährdet.
Dazu kommen Auflagen auf die Banken zu, welche die Kreditvergabe nicht erleichtern. Bis zum Jahr 2019 muss das Eigenkapital 10,5 Prozent der riskanten Darlehen ausmachen. Dazu kommt eine geplante Harmonisierung von Darlehenslaufzeiten und Refinanzierungen.
Die Krux dabei ist allerdings, dass Einlagen selten die gleichen Laufzeiten aufweisen, wie Kredite. Dies mag bei Konsumentenkrediten noch der Fall sein, bei langfristigen Unternehmensfinanzierungen oder Baudarlehen ist dies kaum zu bewerkstelligen.
Obwohl die Verschuldungsquote der privaten Haushalte und Unternehmen in der Eurozone rückläufig ausfällt, liegt sie mit 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nur leicht unter ihrem Höchststand von 170 Prozent im Jahr 2009. Zum Vergleich dazu ist es den USA gelungen, diese Quote im gleichen Zeitraum von 170 auf 140 Prozent zu senken.
Ein weiterer Punkt, weshalb die Kreditvergabe aus Bankensicht zögerlich erfolgt, sind die vorhandenen Überkapazitäten in der Wirtschaft und im Immobilienbereich.
Warum fordern die Unternehmen nicht vehementer neue Kredite ein?
Tatsache ist, dass die Firmen aus früheren Jahren noch hohe Schulden mit sich tragen. Diese Schulden entstanden aus dem Bedarf nach Investitionen und Produktion. Heute stehen den Verbindlichkeiten Überkapazitäten gegenüber, die nicht abgebaut werden können.
Es stellt sich also die Frage, weshalb ein Unternehmen in neue Maschinen investieren sollte, wenn für die vorhandenen keine Auslastung besteht.
Die Annahme, dass niedrige Zinsen automatisch zu einem Anstieg der Investitionen führen, hat sich als Trugschluss erwiesen, wie die folgenden Zahlen belegen:
Im Februar lag der Zuwachs bei Investitionskrediten lediglich 0,6 Prozent über dem Vormonat. In den zurückliegenden vier Jahren schrumpfte die Kreditvergabe kontinuierlich, ein Umstand, der nicht nur auf die restriktive Kreditvergabe der Banken zurückzuführen ist.
Das Investitionsvolumen innerhalb der Europäischen Union liegt zu Beginn des Jahres 2016 rund 13 Prozent unter dem Volumen, welches vor der Krise abgefragt wurde.
Der Reformdruck lässt nach
Zinsen stellen das wichtigste Mittel zur Steuerung der Märkte dar. Wenn geliehenes Geld nichts mehr kostet, muss sich niemand Gedanken darüber machen, wie es mit den Kosten aussieht. Dies betrifft nicht nur die Unternehmen, sondern auch Staaten.
Ein Staat, der sich durch Kreditaufnahme entschulden kann, muss nicht darüber nachdenken, welche Maßnahmen er jenseits der Verschuldung ergreifen müsste. Das Ergebnis ist fatal.
Anstelle die niedrigen Zinsen zu nutzen und die Haushalte durch parallele Reformen zu konsolidieren, verschulden sich Staaten wie Italien oder Spanien weiter – es kostet ja fast nichts. Zehnjährige Staatsanleihen aus Südeuropa verzinsen mit gerade einmal 1,5 Prozent pro Jahr.
Italien hätte sich laut Studie der DZ Bank bei Verzicht auf Neuverschuldung bis zum Jahr 2022 um 670 Milliarden Euro, Spanien um rund 300 Milliarden Euro entschulden können – sie tun es aber nicht.
Das Beispiel Japan liefert hierfür interessante Zahlen. Das Land der aufgehenden Sonne führt seit den achtziger Jahren einen verzweifelten Kampf gegen die Stagnation, erinnert dabei aber ein wenig an Don Quichotte.
Bis zum Ende der 80er Jahre konnte das Wirtschaftswachstum noch bei sehr guten fünf Prozent gehalten werden, doch schon ab den frühen 90er Jahren ging dem System die Luft aus.
Die japanische Notenbank pumpt durch den Ankauf von Anleihen jährlich rund 640 Milliarden Euro in die Märkte. Der japanische Staat nimmt das billige Geld gerne an und investiert. Beispielsweise in eine völlig sinnlose, weil kaum genutzte Brücke bei Tokyo.
Die Rechnung geht aber seit über einem viertel Jahrhundert nicht auf. Im vierten Quartal 2015 schrumpfte die japanische Wirtschaft erneut um 0,5 Prozent. Fast 75 Prozent der japanischen Staatsanleihen bieten heute eine negative Rendite.
Die japanische Notenbank erhebt ebenfalls Strafzinsen auf Einlagen. Was passierte? Der Yen wertete auf, Bankaktien gaben dramatisch nach, die Preise stagnieren seit Monaten. Wir halten uns vor Augen, dass dieser Zustand nun seit fast 30 Jahren anhält.
Die Wirtschaftswoche zitiert in ihrer Ausgabe vom 11.3.2016 den britischen Finanzpolitiker Adair Turner mit den Worten, Japan solle seine Staatsanleihen schlicht abschreiben und die Notenbank solle die Finanzierung des Haushaltes übernehmen, um so wieder die Inflation anzuheizen.
Wie schlecht es um Teile der asiatischen Wirtschaft bestellt ist, zeigt auch das Beispiel China. Das chinesische Wirtschaftswachstum ist rückläufig. Investitions- und Immobilienblasen drohen zu platzen. Der Versuch der Regierung, die Wirtschaft mit einer Finanzspritze von umgerechnet 500 Milliarden Euro wieder anzukurbeln, schlug fehl.
Die Auslastung der Unternehmen sinkt in allen Branchen. Schon im Jahr 2009 warnte die Europäische Handelskammer vor den sich abzeichnenden Überkapazitäten. Der Rückgang seit dem Jahr 2008 stellt sich folgendermaßen dar:
- Stahl -10% auf 70%
- Glas -10% auf 80%
- Raffinerien -15% auf 65%
Das Wirtschaftswachstum mit nur noch 6,9 Prozent erreichte den niedrigsten Wert seit 25 Jahren. Die in China ebenfalls angewandte Politik der Zinssenkung führte zu massiven Kapitalabflüssen. Im Jahr 2015 zogen die Chinesen Gelder im Volumen von 676 Milliarden Dollar aus dem Land. Im Januar und Februar 2016 waren es schon alleine 142 Milliarden US-$.
Fakt ist, dass die in Europa entstandenen Überkapazitäten den Investitionswillen hemmen und trotz billigen Geldes das Gegenteil in der Wirtschaft entsteht. Die sich ausbreitende Lethargie führt letztendlich zum Stillstand.
Zinserhöhung in den USA – ein Strohfeuer?
Nach der erfolgten Erhöhung des Leitzinses in den USA Ende 2015 kündigte die Chefin der US-Notenbank, Janet Yellen, weitere Zinserhöhungen für 2016 an. Davon rücken die US-Banker aber bereits wieder ab.
Die Entwicklung der globalen Konjunktur zum einen, der US-Konjunktur zum anderen, führen dazu, dass es bereits wieder Überlegungen zu einer Umkehr der Zinspolitik gibt.
Gibt es überhaupt Lösungen?
Der eingangs erwähnte Vorschlag des bayerischen Sparkassenverbandes an seine Mitgliedsunternehmen, Geld zu horten, erinnert an Dagobert Duck. Geldpolitik ist leider kein „jump and run“-Spiel wie Super Mario. Die hier aufgeführten Fakten wenden sich alle eindeutig gegen die Politik der EZB.
Das Beispiel Japan zeigt, dass endlose Niedrigzinspolitik, Anleiheaufkäufe und sinnlose Staatsinvestitionen keine Lösung sind. Die Befürchtung wächst, dass auch die Eurozone ein ähnliches Schicksal wie Japan erleidet und der Weg der niedrigen Zinsen keine Lösung bietet, aber auch nicht mehr verlassen werden kann.
Die Sicht der Banken ist nachvollziehbar, wenn auch sozialpolitisch eventuell infrage zu stellen. Die Sicht der Unternehmen ist ebenfalls nachvollziehbar. Warum investieren, wenn es keinen Bedarf nach weiteren Kapazitäten gibt. Die Sicht der Sparer ist durch Tränen getrübt, es lohnt kaum noch, zu sparen.
Ein Kreditaufnahmeverbot für einige Staaten lässt sich nicht realisieren. Nur so wären diese allerdings gezwungen, notwendige Reformen durchzuführen, anstatt gutes Geld dem Schlechten hinterher zu werfen.
Was würde eine spontane Erhöhung des Leitzinses und eine Abschaffung des Strafzinses bringen? Vermutlich nichts. Wenn kein Investitionsbedarf entsteht, solange das Geld nichts kostet, besteht auch kein Bedarf bei hohen Zinsen. Man könnte meinen, der Schlüssel seien die Verbraucher.