EZB kündigt lockerere Zinspolitik an
Am 17. Juni 2019 verkündete Mario Draghi, dass die Europäische Zentralbank (EZB) durchaus bereit sei, ihre Politik des lockeren Geldes noch weiter auszudehnen. Es dauerte nicht lange und der übliche Jammer-Tweet von Donald Trump, „The EU is not fair to America“, machte die Runde. Ja, niedrige Zinsen weichen eine Währung auf, der Export wird angekurbelt. Aber Donald Trumps Probleme sind nicht Kern der EZB-Politik. Warum plant Draghi neue Maßnahmen und wie sollen diese aussehen?
- Europäische Zentralbank plant eine erneute Lockerung der Geldpolitik.
- Erneute Anleiheaufkäufe sind im Gespräch.
- Die Banken haben kaum noch Spielräume für weitere Zinssenkungen bei Krediten.
- Verbraucher sollten sich daher von ihren Vorhaben aktuell nicht abbringen lassen und Pläne umsetzen.
EU mit Deflationsrisiko
Fakt ist, die von der EZB angestrebte Inflationsrate von annähernd zwei Prozent ist in wieder in die Ferne gerückt. Im Mai lag die Inflationsrate in der EU bei 1,22 Prozent, eine fast schon „desaströse“ Zahl (1). Unter anderem in Portugal ist ein Rückgang der Preise bei Energie und Konsumgütern zu verzeichnen. Stagnierende Preise führen dazu, dass Investitionen verschoben werden. Diese wiederum bremst die Wirtschaft. Es müssen also Stimuli geschaffen werden, die Kreditvergabe anzuheizen, damit investiert, produziert und bei steigenden Preisen konsumiert wird.
Welche Optionen hat die EZB noch?
Schon im Jahr 2017 hieß es, die EZB hat mit den negativen Zinsen für Banken ihr Pulver verschossen, um weitere Impulse in die Märkte zu geben, wenn kein Umschwung erfolgt. Zwischenzeitlich haben die Frankfurter Zentralbanker ihren Anleiherückkauf gedrosselt und so weniger Geld in den Markt gebracht.
Mario Draghi machte auf der Notenbankkonferenz im portugiesischen Sintra keinen Hehl daraus, dass die Anleiheaufkäufe gerade wieder gestartet werden könnten. Experten schließen darüber nicht aus, dass es bei der nächsten Notenbanksitzung zu einer Anpassung des Einlagezinses für Banken kommt. Dieser beträgt aktuell minus 0,4 Prozent, könnte auf minus 0,5 Prozent steigen.
Alle Bemühungen der EZB, die Banken zur Kreditvergabe zu motivieren, scheitern aber an den Geldhäusern selbst. Die Zahl der ausgereichten Kredite sank von Februar 2019 auf März 2019 um 0,3 Prozent im Vergleich gegenüber dem Vorjahr (2). Die Zahl der Kredite an die privaten Haushalte war im März gegenüber dem Februar ebenfalls marginal rückläufig.
Eine erwartete Erhöhung des Leitzinses von derzeit null Prozent ist zunächst auf Mitte 2020 verschoben.
Ein Mittel, die Kreditvergabe wieder anzuheizen, könnten zweijährige Kredite sein, deren Zinssatz an den Leitzins gekoppelt ist. Die Ausgabe dieser Darlehen, die dann als Kredite in die Wirtschaft fließen sollen, ist zunächst für den Zeitraum zwischen September 2019 und März 2021 vorgesehen.
Was ergibt sich aus der neuen „alten“ Strategie für Verbraucher?
Aktienbesitzer können sich freuen. Der DAX reagierte auf die Äußerungen Draghis mit einem kleinen Kurssprung. Auf der anderen Seite verfestigten deutsche Staatsanleihen ihre Minusrendite. Für österreichische und französische Anleihen war die Jungfernfahrt in ins Meer der Minusrenditen die Folge.
Neben dem klassischen Effekt niedriger Zinsen, dem Anstieg der Aktienmärkte, kommen aber auch Fragen auf, wie es sich mit der Kreditvergabe an die privaten Haushalte und Firmenkrediten verhält, wie sich Kreditnehmer und potenzielle Kreditnehmer aktuell verhalten sollten.
Private Haushalte
Privatbanken und Sparkassen werden sich das Vorgehen der Landwirtschaftlichen Rentenbank als direktem Staatsorgan nicht leisten können. Ratenkredite mit einem Zinssatz von minus 0,4 Prozent sind betriebswirtschaftlich nicht darstellbar.
Im Segment der Baufinanzierungen zeigt sich ein ähnliches Bild. Baugeld mit einer Festschreibung von zehn Jahren und einem Zinssatz von unter einem Prozent lässt sich nur noch schwer toppen. Es ist davon auszugehen, wenn es denn zu Zinsänderungen im privaten Segment kommt, dass sich diese hinter dem Komma abspielen.
Firmenkredite
Die Finanzierungskosten für Unternehmen befinden sich schon längerfristig in einem Abwärtstrend. Die Zinsen für Darlehen mit einer fünfjährigen Zinsbindung lagen am 7. Juni 2019 noch bei 1,31 Prozent (3). Dies bedeutet ein Minus von 0,52 Prozentpunkten im Zwölfmonatsvergleich.
Allerdings gilt auch anzumerken, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) eine relativ restriktive Kreditvergabe bei den Banken monieren. Chefanalyst Kai Gerdes vom Kreditversicherer Hermes Euler bezifferte die Lücke zwischen Bedarf und Kreditvergabe in Europa mit 400 Milliarden Euro. Ursache sei die Befürchtung der Banken vor notleidenden Darlehen (4).
Welche Handlungsempfehlungen sind denkbar?
Für private Haushalte gilt, das Geld kaum noch billiger wird. Unabhängig davon, ob es sich um einen klassischen Ratenkredit oder um eine Baufinanzierung handelt, die Spielräume der Banken nach unten sind begrenzt.
Wer eine Kreditaufnahme oder Baufinanzierung plant, sollte einfach wie geplant aktiv werden und nicht in eine abwartende Haltung verfallen. Gerade bei Baufinanzierungen kann ein weiterer Anstieg der Kaufpreise ein mögliches Absinken der Finanzierungszinsen um weitere 0,1 Prozent oder 0,2 Prozent überkompensieren. Erwerber sollten darüber hinaus die niedrigen Zinsen für möglichst hohe Tilgungsanteile nutzen.
Ob es sich rechnet, bei einer möglichen weiteren Zinssenkungsrunde Konsumentendarlehen vorzeitig abzulösen, muss jeder Kreditnehmer unter Berücksichtigung möglicher Vorfälligkeitsentschädigungen mit spitzem Bleistift selbst rechnen. Bei Baufinanzierungen wird sich kein Vorteil ergeben.
Ein anderes Thema sind Anschlussfinanzierungen. Auch hier gilt, der Spielraum nach unten ist begrenzt. Allerdings sind Forwarddarlehen mit einer Vorlaufzeit von fünf Jahren aktuell übertrieben. Hier lohnt es sich, den Markt zu beobachten und Ankündigungen der EZB mit der Zinsentwicklung abzugleichen. Die Reaktionszeit bei einem Forwarddarlehen ist kurz, die Umsetzung kann bei Bedarf zeitnah erfolgen.
Für Firmeninhaber gilt am Ende das Gleiche. Abwarten bringt wenig, allerdings sollten sie den Druck auf die Banken bei zögerlicher Kreditvergabe durch Konkurrenzangebote erhöhen oder sich auf entsprechenden Kreditvermittlungsplattformen umschauen.
Quellen und weiterführende Links
- (1) Inflation in der EU: Mai 2018 einer der niedrigsten Werte
- (2) Zahl der Firmenkredite rückläufig: Handelsblatt vom 29. April 2019
- (3) Finanzierungskosten für Unternehmen: Barkow Corporate Credit Index
- (4) KMU mit Finanzierungsproblemen: Handelsblatt vom 9. April 2019