Good News für US-Studenten
Ein Studium ist eine Investition in die eigene Zukunft. Dabei setzen Studierende aber nicht nur Zeit und Mühe, sondern auch eine Menge Geld ein. In Deutschland sind es vor allem die Lebenshaltungskosten, die auf der finanziellen Seite zu Buche schlagen.
In den USA sieht die Lage gänzlich anders aus. Dort zahlen die Studenten an den privaten Universitäten ein Vermögen für die Studiengebühren. Über 15 Prozent der Studienkredite belaufen sich auf zwischen 50.000 und über 200.000 USD. Durch etwas Glück löste sich dieser Schuldenberg für einige nun in Luft auf.
Ein Start ins Berufsleben, der mit einem Berg Schulden auf den Schultern losgeht, mag in den Vereinigten Staaten ganz normal sein. Besonders schön ist die Situation für die ehemaligen Studenten dennoch nicht.
Direkt nach der Uni muss schnell Geld her
Die Zeit kann sich strecken, bis ein ordentlich bezahlter Job gefunden ist. Praktika stehen oft am Anfang und die werfen kaum genug zum Leben ab. Eine andere unschöne Situation ist der Verlust des frischen Arbeitsplatzes, etwa weil die Firma insolvent wird.
In diesen beiden und vielen anderen Lagen wird die Investition in die eigne Zukunft zur erdrückenden Last. Die Kreditraten werden unbarmherzig fällig. Wird der Rückstand zu groß, drohen juristische Konsequenzen, die dem jungen Menschen dann den Rest geben.
Was für eine Erleichterung muss es sein, wenn Berufsanfängern mit einem Schlag diese Last genommen wird? Genau das ist nach Informationen der New York Times nun mehrfach der Fall (1).
Wie können sich Schulden plötzlich in Luft auflösen?
Das Grundprinzip lässt einen Unbeteiligten schmunzeln, der die Finanzkrise bewusst mitbekommen hat. Denn wie schon vor zehn Jahren Immobilienkredite in Investmentprodukte verwandelt und verkauft, nochmals umgewandelt und wieder verkauft wurden, so wird das auch mit Studentenkrediten in den USA gemacht.
Über mehrere Stationen wurden die Kredite gebündelt und zu immer neuen Investmentpaketen zusammengeschnürt. Über all diese Stationen hinweg ging wohl einiges schief, was den notwendigen Papierkrieg angeht.
Reichlich viele dieser Spekulationsobjekte landeten schließlich bei einem der größten Investoren in diesem Segment, dem „National Collegiate Student Loan Trust“. Diese Organisation ist eine Dachgesellschaft von 15 untergeordneten Trusts, die in Summe 800.000 Studentenkredite mit einem Gesamtwert von über 12 Milliarden USD angekauft haben.
Ganze 5 Milliarden USD in diesem Portfolio sind faule Kredite, bei denen die Rückzahlungen fraglich oder in Verzug sind. Selbst einem Laien ist klar, dass ein Anteil von über 40 Prozent hoch-risikoreicher Anlagen im Portfolio schon nicht mehr spekulativ, sondern eher suizidal ist.
Im logischen Schluss eröffnete National Collegiate Gerichtsverfahren, um die ausstehenden Schulden einzutreiben. Das taten sie US-weit über 800-mal allein 2017 mit einer Kadenz von etwa 4 neuen Fällen pro Tag. Dazu kommen zehntausende andere Fälle in den vorherigen fünf Jahren.
Während der Auseinandersetzungen vor Gericht stellte sich heraus, dass die Unterlagen der Kläger alles andere als vollständig waren. Sie konnten in dutzenden Fällen nicht stichhaltig nachweisen, dass die ehemaligen Studenten ihnen Geld schuldeten.
Die Richter in diesen Fällen hatten daher keine andere Wahl, als die Forderungen als nicht begründet abzuweisen. Und das bedeutet, dass die betroffenen, die ohnehin bereits aus ungünstigen Umständen in Zahlungsverzug gekommen waren, eine große Sorge weniger haben.
UPDATE vom 22.09.2017: Das Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) der USA verängt 21,6 Mio. USD Strafe
Im September 2017 hat sich das CFPB dazu entschlossen, gegen die National Collegiate Student Loan Trusts und deren Geldeintreiber (Transworld Systems) eine Strafe in Höhe von 21,6 Mio. US-Dollar zu verhängen. Die Vollmacht dazu erwächst der Organisation aus dem Dodd-Frank Act, der unter Präsident Obama zustande kam und den der aktuelle Präsident Trump am liebsten abschaffen würde.
Die Strafe wird fällig, weil die Kooperationsgemeinschaft illegale Klagen gegen ehemalige Studenten erhob, deren noch laufende Studienkredite sie erworben hatte. Die Klagen sind illegal, weil die Kläger nicht stichhaltig beweisen können, dass sie den Kredit besaßen und/oder weil falsche eidesstattliche Erklärungen den Unterlagen beiliegen.
Zusätzlich wurde der National Collegiate Student Loan Trust dazu verdonnert, jeden einzelnen der 800.000 Kreditverträge einem gesonderten Tiefen-Audit durch einen unabhängigen Dritten zu unterziehen, um herauszufinden, welche Kreditnehmer von den unberechtigten Klagen betroffen sind. Bei diesen Fällen sind jegliche Zahlungseinzüge sofort einzustellen.
3,5 Mio. Dollar der Strafe werden unter über 2.000 Konsumenten aufgeteilt, die von den illegalen Aktionen betroffen waren. Das restliche Geld geht an den Staat sowie an den Civil Penalty Fund des CFPB (5).
Bevor die Glasfasern nach Amerika zu glühen beginnen
Dutzende Studenten hatten schon enormes Glück und ihre Schulden wurden ihnen erlassen, weil der Investor über nur mangelhaftes Beweismaterial verfügte. Bekannten und Freunden jetzt schon zum Zahlungsstopp zu raten und dem dann vermeintlich folgenden Schuldenerlass zu gratulieren, wäre allerdings kein guter Gedanke.
Erstens ist es vielleicht unklar, wer nun der aktuelle Gläubiger des Kredits ist. In vielen Fällen sind die Banken raus und haben ihre Forderungen verkauft, aber das ist nicht immer der Fall. Wenn die Kredite verkauft wurden, wurden sie das wie oben beschrieben vielleicht mehrfach. Wer die Forderung am Ende besitzt, ist eine entscheidende Frage.
Zweitens werden die Forderungs-Eintreiber den gleichen Fehler nicht allzu oft begehen. Sie werden die kommenden Klagen vermutlich sehr viel besser vorbereiten. Das Prozessrisiko bleibt auch dann bestehen, wenn der Student weiß, dass sein Kredit bei der National Collegiate liegt.
Drittens sollte man keinesfalls zum Zocken raten. Denn was wäre, wenn der Student seine Zahlungen absichtlich einstellt und sich auf einen Prozess einlässt, aber im Ergebnis verliert? In diesem Fall zahlt er nicht einfach nur brav seinen Kredit weiter als wäre nichts passiert. Er wird darüber hinaus auch noch Gerichts- und Anwaltskosten zu tragen haben. Bestimmt kein billiges Vergnügen, speziell in den USA und noch spezieller wenn dort gegen große Investment-Firmen prozessiert wird, die sehr teure Anwälte beschäftigen dürften.
Zahlen und Fakten zum US-Studentenkreditmarkt
Mit den folgenden statistischen Informationen der US-Behörden lässt sich die aktuelle Situation in den vereinigten Staaten hinsichtlich der Studentenkredite noch besser einordnen:
Rückzahlungsverhalten der Bevölkerung
Das Board of Governors of the Federal Reserve System (FED) veröffentlicht regelmäßig Daten zu diversen Kenngrößen. Darunter fallen auch Erhebungen über Kredite, die für Studien aufgenommen wurden. Die aktuellen Zahlen zeigen den Ist-Stand 2015 (2):
Überfällige Rückzahlungen für Studentenkredit | Planmäßige Rückzahlung des Studentenkredits | Abbezahlte Studentenkredite | |
---|---|---|---|
Weiße, nicht-hispanisch (18-44 Jahre) | 5 % | 60 % | 35 % |
Schwarze, nicht-hispanisch (18-44 Jahre) | 14 % | 76 % | 10 % |
Hispanisch (18-44 Jahre) | 27 % | 58 % | 15 % |
Weiße, nicht-hispanisch (alle) | 5 % | 42 % | 53 % |
Schwarze, nicht-hispanisch (alle) | 16 % | 58 % | 26 % |
Hispanisch (alle) | 23 % | 52 % | 25 % |
Entwicklung des Volumens überfälliger Kredite in den USA
Studentenkredite nehmen in den USA einen wichtigen Platz in den Kreditstatistiken ein. Sie machen in Summe sogar mehr aus, als alle Autokredite. Die Historie der vergangenen Jahre hinsichtlich der überfälligen Kredite in Milliarden US-Dollar verlief wie folgt (3):
2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | |
---|---|---|---|---|---|
Überfällige Kredite insgesamt | 2.919,7 | 3.095,6 | 3.317,4 | 3.537,5 | 3.765,8 |
Überfällige Studentenkredite | 1.055,2 | 1.146,5 | 1.236,3 | 1.320,4 | 1406,1 |
Überfällige Autokredite | 809,2 | 878,8 | 957,9 | 1.039 | 1.110,5 |
Anzahl der Kreditverträge nach Kreditbeträgen in US-Dollar
Eine andere Behörde der USA hat aufgeschlüsselt, in welcher Höhe die Kredite aufgenommen wurden. Die aktuellsten Daten beziehen sich auf 2016 (4):
Anzahl der Studentenkredite | Anteil in Prozent | |
---|---|---|
Zwischen $1 und $5,001 | 9.028.800 | 20,83% |
Zwischen $5,000 und $10,000 | 7.785.500 | 17,96% |
Zwischen $10,000 und $25,000 | 12.348.000 | 28,49% |
Zwischen $25,000 und $50,000 | 7.997.000 | 18,45% |
Zwischen $50,000 und $75,000 | 3.126.800 | 7,21% |
Zwischen $75,000 und $100,000 | 1.238.100 | 2,86% |
Zwischen $100,000 und $150,000 | 1.026.100 | 2,37% |
Zwischen $150,000 und $200,000 | 444.200 | 1,02% |
$200,000+ | 348.600 | 0,80% |
Anzahl der Kreditverträge insg. | 43.343.100 |
Fazit: Profitmaximierung und Risikoakzeptanz
Es scheint, als würde der Finanzmarkt in den USA einfach nicht dazu lernen wollen. Die Lehren, die die Finanzkrise 2007/08 mehr als klipp und klar vermittelte, werden nicht zur Kenntnis genommen bzw. bewusst ignoriert. Die Profitmaximierung steht dermaßen im Vordergrund, dass jedes Risiko in Kauf genommen wird.
Am Ende des Tages ist es für die angestellten dieser Investmentfirmen recht egal, was zum guten Schluss passiert. Sie hantieren schließlich nicht mit eigenem Geld. Ihre Arbeit wird hervorragend bezahlt und sie schaffen ihr Schäfchen ins Trockene. Wenn eine Investmentfirma mit einem 12 Mrd. USD Portfolio pleitegeht, hat das leider weitreichende Konsequenzen.
Es ist wohl anzunehmen, dass unzähligen Privathaushalten Anlageprodukte mit ausgezeichneten Renditen in Aussicht gestellt wurden, die nun in Frage stehen. Sind die Anleger selber schuld, weil sie sich verleiten ließen? Keine Frage, auch sie weigern sich zu akzeptieren, dass der Profitmaximierung immer das entsprechende Risiko gegenübersteht.
In den USA sahen und sehen wir hinsichtlich der Kreditvergabe und dem weiteren Umgang mit den Kreditverträgen immer wieder enorme Spannungsfelder. Ob es der US Subprime Autokreditmarkt (s. Themenwelten -> Studien) ist oder ob es um die Studentenkredite oder die enormen Kreditkartenschulden pro Kopf geht:
Wer der Meinung ist, eine Deregulierung der Finanzmärkte, die solch eine Geschäftsethik aufweisen, sei gut für die Wirtschaft, der sieht nur bis zu seiner Nasenspitze voraus.
Quellen und weiterführende Informationen
(1) New York Times – As Paperwork Goes missing, Private Student Loan Debts May Be Wiped Away
(2) Board of Governors of the Federal Reserve System (FED) – Figure 33. Payment status of student loans acquired for own education
(3) Board of Governors of the Federal Reserve System (FED) – Consumer Credit – G.19
(4) Federal Reserve Bank of New York – Center for Microeconomic Data, Student Loans
(5) Consumer Financial Protection Bureau – CFPB Takes Action Against National Collegiate Student Loan Trust (engl.)