Bundesverfassungsgericht: Grundsteuer ist gesetzeswidrig
Am 10. April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, was viele erwartet haben. Die aktuelle Berechnungsmethode zur Grundsteuer verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und muss neu definiert werden. Die Richter betonten zwei Sachverhalte, die eine Novelle zwingend notwendig machen.
Warum muss reformiert werden und bis wann?
Unterschiedliche Berechnungsgrundlagen in Westdeutschland und Ostdeutschland
Die Grundsteuer basiert auf dem Einheitswert eines Grundstücks zu einem bestimmten Stichtag. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass der Wert von Grund und Boden drastisch zugenommen hat. Die Berechnungsgrundlage zielt aber nicht auf den aktuellen Wert ab, sondern auf fast schon historisch Werte. Der Wertzuwachs von Grundstücken in einigen Regionen wird ebenso wenig berücksichtigt, wie der Wertverfall in anderen Landesteilen. Die Wandlung eines ehemals verarmten Stadtteils in eine hippe Wohngegend mit explodierenden Preisen findet bei der aktuellen Regelung keine Berücksichtigung.
Im Westen basiert die Besteuerung auf dem Einheitswert des Jahres 1964, im Osten auf dem des Jahres 1935. Zum einen führt dies zu einer völligen Verzerrung der Besteuerungsgrundlage. Zum anderen beachtet dieser Sachverhalt in keiner Weise die Werthaltigkeit der Bebauung und die Wertsteigerung.
Bereits 1935 hatte sich der Gesetzgeber dazu verpflichtet, die Grundsteuerbemessung alle sechs Jahre anzupassen, geschehen ist dies allerdings auch nach Gründung der Bundesrepublik seit 1964 nicht mehr. Der Versuch der Bundesländer, 2017 eine Reform auf den Weg zu bringen, scheiterte letztes Jahr am Widerspruch von Hamburg und Bayern.
Die Verfassungsrichter haben dem Gesetzgeber enge Fristen gesetzt. Die Reform muss bis 2019 umgesetzt sein. Andernfalls fällt die Grundsteuer schlicht weg. Immerhin müssen 35 Millionen Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden. Mit Verabschiedung eines neuen Gesetzes gilt dann eine Übergangsfrist bis zum Ende des Jahres 2024.
Das enge Zeitfenster begründen die Richter damit, dass seitens der Rechtsprechung immer wieder eine Reform angemahnt wurde, der Gesetzgeber aber inaktiv blieb. Die Kommunen diskutieren im Fall eines Steuerausfalls bereits, wie der Bund aufgrund seiner Arbeitsverweigerung der letzten Jahre in diesem Fall in den Regress genommen werden könnte. Es lässt sich gut ausmalen, welche Auswirkungen der Wegfall der Steuer für die Gemeinden haben würde.
Für die Ermittlung der Grundsteuer spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die in einem gesonderten Artikel detailliert erläutert werden (1). Hier ein Berechnungsbeispiel:
Für ein Einfamilienhaus irgendwo in Westdeutschland gilt ein Einheitswert von 30.000 Euro. Die Grundsteuermesszahl wird laut Grundsteuergesetz mit 2,6 Promille festgesetzt. Der Hebesatz basiert auf dem deutschen Mittelwert von 534 Prozent.
Aus der Formel
Einheitswert x Grundsteuermesszahl = Grundsteuermessbetrag
resultiert
Grundsteuermessbetrag x Hebesatz = Jahresgrundsteuer
woraus sich folgender Wert ergibt:
30.000 Euro x 2,6 Promille = 78 Euro
78 Euro x 534 Prozent = 416,52 Euro
Der Eigentümer muss 416,52 Euro Grundsteuer jährlich entrichten. Stünde das Objekt im nordrhein-westfälischen Witten, betrügen der Hebesatz 910 Prozent und die Grundsteuer 709,80 Euro. In Ingelheim am Rhein fallen bei einem Hebesatz von nur 80 Prozent entsprechend 62,40 Euro Grundsteuer jährlich an.
Welche Optionen stehen zur Verfügung?
Für die Reform stehen drei Umsetzungswege zur Diskussion. Eine Option, das Verkehrswertmodell, besteht darin, das Grundstück und die darauf befindliche Immobilie getrennt zu gewichten. Für Grund und Boden gilt der Richtwert als Berechnungsgrundlage, für die Immobilie die Herstellungskosten abzüglich eines altersabhängigen Abschlags.
Die zweite Alternative basiert auf dem Bodenwert. Dieser belastet ungenutztes Bauland stärker, um Anreiz zu geben, Wohnraum zu schaffen.
Beispielsweise der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) favorisiert die dritte Möglichkeit: Eine Besteuerung auf der Basis der Grundstücks- und Gebäudequadratmeter. (2)
Wen betrifft die Änderung der Besteuerung?
Grundsätzlich sind alle Haushalte in Deutschland von der Änderung der Besteuerungsgrundlage betroffen. Da die Grundsteuer zu den umlagefähigen Nebenkosten zählt, müssen sich auch Mieter auf eine, möglicherweise signifikante, Änderung einstellen. Fällt künftig der Gebäudewert in die Berechnungsgrundlage, würde die Grundsteuer in Städten drastisch steigen, in ländlichen Regionen dagegen möglicherweise absinken.
Der Eigentümerverband Haus und Grund hat Vergleichsberechnungen für 500 unterschiedliche Immobilien im Rahmen der Mischkalkulation aus Boden- und Gebäudewert erstellt. Er kam zu dem Schluss, dass sich der Anstieg der Grundsteuer durchschnittlich um das 30fache, in Ausnahmefällen bis zum 50fachen der heutigen Werte bewegen wird. (3)
Die folgende Grafik verdeutlicht die finanziellen Auswirkungen des Verkehrswertmodells:
„Haus und Grund“ führte ein geradezu absurdes Beispiel für ein Mehrfamilienhaus in Berlin am Rosenthaler Platz an:
Aktuell liegt die Grundsteuer für die fünf Parteien pro Wohneinheit 42 Euro im Monat aus. Gemäß dem Verkehrswertmodell würde künftig ein Wert von 3,1 Millionen Euro als Besteuerungsgrundlage angesetzt. Die Grundsteuer würde von heute 2.500 Euro im Jahr auf über 22.000 Euro jährlich ansteigen. Für die Bewohner würde dies eine monatliche Mehrbelastung von 325 Euro bedeuten.
Berlin führt aktuell den Hebesatz zur Grundsteuerberechnung mit 810 Prozent an. Dabei gelten allerdings unterschiedliche Besteuerungsgrundlagen für West- und Ostberlin. Die Notwendigkeit der Reform wird beim Durchschreiten des Brandenburger Tors deutlich.
Ein beispielhaftes Reihenhaus im Rhein-Main-Gebiet, gegebenenfalls sogar als Teil der Altersvorsorge gedacht, würde seinen hypothetischen Eigentümern ebenfalls wenig Freude bereiten:
Das Grundstück verfügt über 295 Quadratmeter, die Wohnfläche über 140 Quadratmeter. Die aktuelle Grundsteuer würde nach dem Verkehrswertmodell von zur Zeit 256 Euro im Jahr auf mehr als 2.000 Euro jährlich steigen. (4)
Es ist nachvollziehbar, dass Mieterschutzverbände genauso wie Eigentümervereine massiv darauf drängen, dass die Reform eine Besteuerung über das aktuelle Niveau hinaus nicht mit sich bringen darf. Gerade Eigenheimbesitzer, die darauf gesetzt haben, ihre entschuldete Immobilie als Teil der Altersversorgung zu sehen, dürften sich einer finanziellen Herausforderung gegenübersehen.
Was sagt die Politik bis jetzt dazu?
Auch wenn es die Große Koalition erzwungenermaßen als vollen Erfolg sehen muss, die Mietpreisbremse und das Bestellerprinzip sind eine Farce. Der desolate Wohnungsmarkt in Deutschland wurde im Wahlkampf zumindest teil-thematisiert, das Urteil des Verfassungsgerichts in dieser Form erwartet. So haben sich die Koalitionäre im Vertrag vorsorglich mit dem Thema Grundsteuer beschäftigt. Herausgekommen ist die Planung einer „Grundsteuer C“. Diese Grundsteuer zielt auf Städte und dicht besiedelte Gebiete ab. Es handelt sich um eine Art Strafsteuer für brachliegendes Bauland. Außerdem soll dem Handel mit Agrarland durch nicht-landwirtschaftliche Unternehmen ein Riegel vorgeschoben werden. (5)
Durch die Grundsteuer C sollen Spekulationen mit Bauland unterbunden und die Nutzung bereits vorhandenen Baulandes vorangetrieben werden. Wer Bauland in Berlin oder München besitzt, wird sich allerdings kaum von seinem Spekulationsdenken abhalten lassen, sofern diese Besteuerung mögliche künftige Verkaufsgewinne nicht nachhaltig relativiert.
Quellen und weiterführende Links
(1) Kreditvergleich.net – Die Grundsteuer in Deutschland
(2) T-Online.de – Grundsteuer: Das sind Vorschläge für die Reform
(3) FOCUS Online – Im Schnitt 30-fache Erhöhung: Grünen-Politiker hat eine einfache Grundsteuer-Lösung
(4) WirtschaftsWoche – Wann kommt die Reform der Grundsteuer?
(5) Kreditvergleich.net – BVVG verkauft letzte staatliche Ländereien in Ostdeutschland