Zombiekredite – Auslöser der nächsten Wirtschaftskrise?
Sobald ein Unternehmen auch nach langer Zeit nicht mehr seine Verbindlichkeiten zahlen kann, ist es insolvent. Eigentlich. Die Niedrigzinsphase und entsprechend zinsgünstige Kredite ermöglichen es solchen Unternehmen allerdings, weder lebendig noch tot zu sein. Wie Zombies mit den Lebenden halten sie sich mit den Zombiekrediten über Wasser und könnten dadurch die nächste Finanzkrise hervorrufen.
- Zombieunternehmen können sich nur aufgrund der niedrigen Zinsen für Firmenkredite am Leben halten.
- Ein Zinsanstieg bedeutet das Aus für Tausende Unternehmen in Europa.
- Studie der DZ-Bank sieht das aktuell billige Geld als Gefahr für die Wirtschaft.
- Aktuell beträgt der Anteil fauler Kredite in den größten EU-Volkswirtschaften mehr als zehn Prozent.
Was sind Zombiekredite?
Wer kennt nicht die „Untoten“ aus Horrorfilmen. Sie ernähren sich vom Blut der Lebenden. So ähnlich funktioniert es mit Zombiefirmen und den Zombiekrediten. Unter einer Zombiefirma versteht man ein Unternehmen, welches nicht mehr genug Ertrag erwirtschaftet, um zu überleben. Konsequenterweise wäre die Insolvenz die Folge. Das historisch niedrige Zinsniveau ermöglicht es einer Zombiefirma aber, sich durch laufende Kredite gerade so über Wasser halten zu können. Diese Kredite werden dann umgangssprachlich Zombiekredite genannt. Die OECD definiert ein Zombieunternehmen ganz konkret als eine Firma, die seit mindestens zehn Jahren am Markt ist, aber innerhalb der letzten drei Jahre ihren Verbindlichkeiten nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen konnten.
Günstige Kredite als Risikofaktor
Die Problematik liegt in einem Anstieg der Zinsen. Im Gegensatz zu soliden Unternehmen mit langfristigen Verbindlichkeiten laufen Zombiekredite auf der Basis von Kontoüberziehungen oder Darlehen mit einer Laufzeit von maximal einem Jahr. Steigen die Zinsen an, können diese Firmen ihre Kredite endgültig nicht mehr zurückzahlen, der Konkurs wäre die Folge.
Der Zinssatz für einen Unternehmenskredit lag vor der Finanzkrise 2007/ 2008 im Mittel bei 4,8 Prozent. Im Jahr 2017 betrug er mit 2,2 Prozent weniger als die Hälfte. Dabei lag das Volumen aller in Europa an Firmen vergebener Kredite bei 4,3 Billionen Euro. Darauf entfielen Zinsen in Höhe von insgesamt 95,6 Milliarden Euro. Läge noch der Zinssatz von vor 2008 zugrunde, müssten die Firmen allerdings 111,9 Milliarden Euro mehr bezahlen (1). Für das eine oder andere Unternehmen wäre die Zinslast nicht mehr zu bewältigen, der längst fällige Weg zum Insolvenzverwalter stünde an.
Studien belegen jedoch, dass es in diesem Fall gravierende Unterschiede zu einer klassischen Firmenpleite gibt (2). Das Problem in der zweiten Ebene sind die Banken, welche diese Kredite vergeben. Bei den betreffenden Instituten handelt es sich um Banken, deren Eigenkapitaldecke wiederum zu dünn ist, um die Kredite zu kündigen und abzuschreiben. Getrieben vom Prinzip Hoffnung prolongieren sie die Darlehen immer wieder, um selbst nicht vor einer Pleite zu stehen.
Ein Zinsanstieg hätte nicht nur eine Pleitewelle bei den Zombieunternehmen zur Folge, sondern würde vermutlich auch die eine oder andere Bank in die Knie zwingen. Am Ende wäre es der Steuerzahler, der für alles einstehen müsste.
Der Dominoeffekt bei Zombiefirmen
Der Dominoeffekt betrifft aber nicht nur die Banken, welche die faulen Kredite vergeben und halten. Das Ganze geht noch einen Schritt weiter, ganze Lieferketten können betroffen sein. Die Süddeutsche Zeitung beschrieb einen solchen Effekt am Beispiel von BMW. Der Autohersteller konnte 8.000 Autos nicht ausliefern, weil der Zulieferer Bosch die Alugussteile für das Lenkgetriebe nicht liefern konnte. Ursache war, dass die Lenkgehäuse vom italienischen Zulieferer ausblieben, da dieser kein Geld mehr für die Beschaffung der Materialien hatte. Nun konnte Bosch das Problem dadurch lösen, dass es das italienische Unternehmen kurzer Hand übernahm (3). Für einen klein- oder mittelständischen Hersteller dürfte die Lösung nicht so einfach ausfallen. Fällt ein Unternehmen in der Lieferkette aus, kann dies zum Konkurs der nachfolgenden Firmen führen.
Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres Problem mit den Zombiefirmen. Um wenigstens ein Minimum an Umsatz zu generieren, unterbieten und blockieren sie die gesunden Mitbewerber und können sich dadurch noch etwas länger am Markt halten.
Die Folgen des Dominoeffekts sind klar. Es verlieren nicht nur die Mitarbeiter der auslösenden Zombiefirma ihren Arbeitsplatz. Die nachfolgenden Unternehmen sind ebenfalls betroffen. Die Arbeitslosigkeit steigt innerhalb kürzester Zeit an, die Konsumgüternachfrage lässt nach, die ökonomische Abwärtsspirale wird in Gang gesetzt.
Die Zombiekredite in Zahlen
Zunächst einmal die gute Nachricht: In Deutschland wurden laut Süddeutscher Zeitung im Jahr 2016 „nur“ 17.702 Unternehmen als Zombies eingestuft. Auf den ersten Blick ging auch die Zahl der Insolvenzen um ein Drittel von 32.930 im Jahr 2016 auf 21.560 im Jahr 2017 zurück (4). Die Ursache liegt jedoch nicht nur in der robusten Konjunktur Deutschlands in diesen Jahren begründet, sondern auch darin, dass sich marode Firmen durch billige Kredite immer noch über Wasser halten konnten. Der Traum platzt mit einem Anstieg der Zinsen.
Allerdings sind die deutschen Unternehmen recht gut gewappnet. Lediglich 21,1 Prozent der vergebenen Darlehen sind kurzfristiger Natur, das heißt mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr. Diesen stehen rund 65 Prozent an ausgereichten Krediten mit einer Laufzeit von mehr als fünf Jahren gegenüber.
Die „faulen“ Kredite in Europa
Die schlechte Nachricht ist, dass sich die Europäische Zentralbank einem Volumen von rund einer Billionen Euro an Zombiekrediten gegenübersieht (5). Im Vergleich zu diesem Volumen war der Auslöser der Finanzkrise 2008 ein Kinderfasching. Wie sieht es mit kurzfristigen Krediten im Ausland aus?
Die betroffenen Länder lassen sich bereits erahnen, allerdings gibt es eine Ausnahme. Die Anführer bei Krediten mit einer Laufzeit von unter einem Jahr sind
- Niederlande: 47,8 Prozent
- Italien: 45,4 Prozent
- Griechenland: 45,1 Prozent
Die Verteilung im Euroraum:
Kreditvolumen in Mrd. Euro | Anteil kurzfristiger Kredite und Überziehungen in Prozent | Anteil fauler Kredite in Prozent | |
---|---|---|---|
Deutschland | 1.067,2 | 21,1 | 1,7 |
Frankreich | 1.127,1 | 26,0 | 3,0 |
Griechenland | 100,6 | 45,1 | 44,8 |
Irland | 56,0 | 33,3 | 8,7 |
Italien | 905,8 | 45,4 | 9,7 |
Niederlande | 461,7 | 47,8 | 2,1 |
Österreich | 203,2 | 32,2 | 3,3 |
Portugal | 82,3 | 31,5 | 15,3 |
Spanien | 560,4 | 33,6 | 4,2 |
Quellen: EZB, DZ-Bank, EBA; Werte für Frühjahr 2018 |
Neben den Volumina und der Anzahl der kurzfristigen Kredite ist die Frage nach den faulen Krediten noch wesentlich drängender. Und hier sind es die üblichen Verdächtigen, welche einmal mehr das System gefährden:
Erstaunlich ist allerdings, dass sich Portugal noch nicht erholen konnte. Die Zeichen für das kleine Land auf der Iberischen Halbinsel stehen erstaunlich gut (6).
Griechenland mit 45,6 Prozent ausfallgefährdeter Kredite und Zypern mit 40,2 Prozent, gefolgt von Portugal und Italien, dürfte einmal mehr zu Sondersitzungen der EZB führen.
Abgrenzung zwischen Zombiekrediten und Non-performing Loans
Nun haben wir eben über faule Kredite berichtet, auch notleidende Kredite, ausfallgefährdete Kredite oder Non-performing Loans genannt. Sie sollten aber nicht mit den Zombiekrediten verwechselt werden. Non-performing Loans, kurz NPLs, stellen Kredite dar, deren Rückzahlung mit mehr als 90 Tagen im Verzug ist. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass die Unternehmen nur noch durch Kredite am Leben gehalten werden, also Zombiefirmen sind. Denn Zombiekredite hingegen dienen eigentlich nur noch dazu, die Insolvenz zu verschleppen. Gemeinsam ist allerdings beiden Begrifflichkeiten, dass ein Anstieg der Zinsen deutliche Probleme bedeutet. Für die einen würde die Fähigkeit zu einer ordnungsgemäßen Rückführung weiter einschränkt werden. Für die anderen würde es das Aus bedeuten.
Zombifizierung der Wirtschaft
Da die Zinswelt durch die Niedrigzinspolitik verrücktspielt und sogar mit Negativzinsen hantiert wird, ist mittlerweile eine Zombifizierung in der Wirtschaft allgemein zu beobachten. Nicht nur einige Firmen entwickeln sich zu regelrechten Zombies, auch manche Banken sind betroffen. Der Ökonomieprofessor und frühere EZB-Chefökonom Otmar Issing sagte dazu: „Durch den niedrigen Zins werden schwache Banken wie Untote künstlich am Leben gehalten, diese wiederum verlängern mit ihren Krediten das Leben schwacher Unternehmen. Je länger dieser Zustand andauert, desto schwieriger wird es, ihn ohne große Verwerfungen wieder zu beenden.“
Er selbst hätte sich zu seiner Zeit als Chefökonom nie Minuszinsen vorstellen können. Negativzinsen sind auch nicht in Sparplänen oder Verträgen für die Altersvorsorge vorgesehen gewesen. Was die Sparer besorgt, freut die Kreditnehmer. Dazu gehört auch der Staat selbst. Während er Schulden macht, bekäme er noch Geld von den Gläubigern zurück. Doch wenn die Bundesregierung bei der Finanzplanung tatsächlich darauf spekuliert, dass die Zinsen noch lange so niedrig bleiben, könnte das eines Tages schwerwiegende Folgen haben, warnt Issing. (7)
Quellen und weiterführende Links
(1) Handelsblatt – Die Angst vor Zombiefirmen wächst – 4 Gründe, warum sie gefährlich sind
(2) DZ Bank – Droht nach dem Zinsanstieg eine Pleitewelle europäischer Zombie-Unternehmen?
(3) Süddeutsche Zeitung – Meist geht es um ganze Zombie-Lieferketten
(4) Süddeutsche Zeitung – Zombie-Firmen bedrohen die Wirtschaft
(5) Focus Money – Eine Billionen Euro riskante Kredite, Ausgabe 43/2018
(6) Telepolis – Portugal schwimmt gegen den Strom zum Erfolg
(7) Welt – Ex-Chefökonom der EZB sieht „Zombifizierung“ der Wirtschaft